Pia Troxler

Grüne Nudeln

 

"Ich war bei Tobi in den Ferien. Das gefiel mir sehr. Ich wollte für immer bei ihm bleiben. Doch seine Eltern wurden nicht müde zu sagen, sie hätten eigene Kinder, und wollten mich nicht bei sich behalten. Es musste eine Lösung gefunden werden für mich, die sich sehr an Tobi klammerte und nicht zu ihren Eltern und Geschwister zurückkehren wollte.

Die Lösung hieß Onkel Josef und Tante Liselotte, ein kinderloses Paar, Mamas Bruder mit seiner Frau. Die beiden zeigten sich anstelle von Tobis Eltern bereit, mich bei sich aufzunehmen.

Am neuen Ort lagen am ersten Abend vor mir auf dem Teller grüne, fingerbreite Nudeln. Mir waren der Onkel, die Tante, die Ruhe bei ihnen, der Esstisch, alles durch und durch fremd. Auch so breite Nudeln hatte ich noch nie gesehen, und vor allem noch nie zuvor grüne. Die Nudeln von Mama waren halb so breit und gelblich. Die der Tante besassen ein leicht schmutziges Grün mit einzelnen dunklen Punkten drin. Dass es Nudeln waren, bezweifelte ich nicht, und dass diese grünen, glänzenden und für mein Empfinden nicht essbaren Streifen gekocht und essbereit für mich dalagen, ebenso wenig.

Nach dem Abendessen und vor dem Schlafengehen hieß es ein Bad nehmen. Die Tante hatte alles für mich vorbereitet. Splitternackt und voller Scham stand ich neben der Wanne. Sie war bis zur Hälfte mit gleichmäßig blau gefärbtem Wasser gefüllt. Durch die künstich wirkende Flüssigkeit, die ich nur schwer für Wasser halten konnte, sah ich den Wannenboden. Es gab kein Entrinnen. Ich musste in dieses klare Blau hineinsteigen. Nicht ein einziges Pünktchen Schaum war darauf zu sehen. Ganz ohne eine Unterhose, die mich wenigstens ein wenig bedeckt hätte, musste ich hinein, und ohne dass mich die großen, weißen Schaumwolken, die bei uns immer auf dem Badewasser schwammen, unter sich hätten verbergen können. Es galt langsam, aber nichts als hinein.

Kaum saß ich, den Rücken dem oberen Ende der Wanne zugekehrt, die Beine ausgestreckt, links an der Wand den Wasserhahn und vor mir das unnatürlich stark blaue und trotzdem durchscheinende Wasser, wurde mir sehr übel. Etwas würgte mich und hob mich von Wannenboden hoch. Mehr schwimmend bis treibend als sitzend wandte ich mich nach rechts. Schwupps, gab mein Magen die eklig schmutziggrünen Nudeln wieder preis. In einem Zug glitten sie neben der Wanne auf den Badezimmerboden. Als ich die Bescherung dort unten erblickte, begann ich fürchterlich zu weinen. Ich weinte und weinte und weinte.

Weder Tante noch Onkel gelang es, mich zu besänftigen. Ich war untröstlich. Ich wollte nur noch eins: nach Hause. Tante Liselotte rief meine Eltern an. Vater würde gleich ins Auto steigen und mich holen, erklärte sie. So geschah es. Noch am selben Abend kehrte ich zu meinen Eltern und Geschwister zurück."

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